Über die pädagogischen Konzepte der IGS Fürstenau

Experten für Reittherapie tagen in der IGS Fürstenau
1. Mai 2018
Auf dem nächsten Sprung
9. Mai 2018

Erfolgserlebnisse zurückerobert

Über die pädagogischen Konzepte der IGS

von Jürgen Ackmann (Bersenbrücker Kreisblatt)

Lei­se klingt Mu­sik aus ei­nen CD-Play­er im Klas­sen­raum der IGS Fürs­te­nau. Sie­ben Jun­gen sit­zen kon­zen­triert vor ih­ren Schreib­hef­ten. Sie ma­chen je­den Tag Fort­schrit­te im Fach Deutsch. Viel­leicht wer­den ei­ni­ge bald wie­der die För­derk­las­se ver­las­sen und ganz in die Stamm­klas­se wech­seln.

Fürs­te­nau. Seit fast ei­nem Jahr gibt es nun die­se För­derk­las­se. Sie ist Teil ei­nes neu­en um­fas­sen­den pä­da­go­gi­schen Kon­zep­tes, das die IGS in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren im Rah­men ih­rer Qua­li­täts­ent­wi­cklung er­ar­bei­tet hat. Es sieht ins­ge­samt vier Klas­sen­pro­fi­le ab dem fünf­ten Jahr­gang vor. Zum ei­nen gibt es das GE-Pro­fil. Es ist für al­le Schü­ler ge­dacht. Er­reich­bar sind Ab­schlüs­se bis hin zum Se­kun­dar­ab­schluss, der zum Be­such der Ober­stu­fe be­rech­tigt. Der Un­ter­richt in den Haupt­fä­chern ist in Kur­sen dif­fe­ren­ziert. Je­de Kurs­zu­wei­sung wird am En­de des Halb­jah­res über­prüft.

Zum an­de­ren gibt es das E-Pro­fil. Es rich­tet sich an Schü­ler mit ei­nem sehr gu­ten oder gu­ten Grund­schul­zeug­nis. Un­ter­rich­tet wird in den Haupt­fä­chern in Kur­sen mit er­höh­ten An­for­de­run­gen, ei­ne zwei­te Fremd­spra­che ist – im Ge­gen­satz zum GE-Pro­fil – ver­pflich­tend. Auch hier gibt es re­gel­mä­ßi­ge Über­prü­fun­gen der Leis­tun­gen.

Wei­ter­hin gibt es ein D-Pro­fil. Es rich­tet sich an Schü­ler, die noch nicht zwei Jah­re in Deutsch­land sind. Leh­rer be­rei­ten sie im Un­ter­richt ge­zielt auf den Spra­chen­er­werb auf drei Ni­veau­stu­fen vor. Die Schü­ler sind zwecks bes­se­rer In­teg­ra­ti­on Re­gel­klas­sen zu­geord­net.

Und dann gibt es das F-Pro­fil für den fünf­ten und sech­sten Jahr­gang. Hier hat die IGS im ver­gan­ge­nen Jahr ei­ne Klas­se ge­bil­det, die zu­nächst mit sechs Schü­lern ge­star­tet ist, die ei­nen „son­der­pä­da­go­gi­schen För­der­be­darf“ hat­ten. Den Un­ter­richt über­nimmt ne­ben IGS-Leh­rern auch die För­der­schul­leh­re­rin Pa­tri­cia Ihr­ke von der Paul-Moor-Schu­le in Fre­ren. Die klei­ne Lerng­rup­pe hat vor al­lem ei­nen Zweck: Sie soll den Schü­lern Raum und Zeit für in­di­vi­du­el­le Lern­pro­zes­se ge­ben – um Wis­sens­rück­stän­de auf­zu­ho­len, um Er­folgs­er­leb­nis­se zu ha­ben und um Selbst­ver­trau­en zu ge­win­nen.

Das gilt auch für Ed­dy, Jan, Timo, Adri­an, Alex, Ibo und Lo­uis. Sie sind die ak­tu­el­len F-Pro­fil-Schü­ler. Die sie­ben Fünft­kläss­ler neh­men in den Fä­chern Ar­beit/Wirt­schaft/Tech­nik, Sport, Mu­sik und Kunst mit den üb­ri­gen Klas­sen­ka­me­ra­den des vier­zü­gi­gen Jahr­gan­ges am re­gu­lä­ren Un­ter­richt teil. Aber in Haupt­fä­chern wie Deutsch, Mat­he oder Eng­lisch bil­den sie ei­ne ge­son­der­te fünf­te Klas­se. Hier geht es für sie zu­nächst ei­nen Schritt zu­rück, da­mit spä­ter nach Mög­lich­keit zwei vor­an­ge­hen kön­nen. An­ders for­mu­liert: Sie ar­bei­ten noch ein­mal den Grund­schul­lern­stoff auf. Bei zwei Schü­lern hat das be­reits gut funk­tio­niert. Sie neh­men in­zwi­schen wie­der in al­len Fä­chern am Un­ter­richt in der Stamm­klas­se teil. Da­für sind drei neue Schü­ler hin­zu­ge­kom­men – macht sie­ben.

Sie sei­en al­le sehr lern­wil­lig, wie Kers­tin Sel­ter be­tont. Einst hat sie an der Grund­schu­le in Schwags­torf un­ter­rich­tet, heu­te ist sie Jahr­gangs­lei­te­rin für den fünf­ten und sech­sten Jahr­gang an der IGS. In der För­derk­las­se un­ter­rich­tet sie die Jun­gen in Eng­lisch und Deutsch. Auf­grund ih­rer schul­for­mü­berg­rei­fen­den Er­fah­run­gen weiß sie, wo sie pä­da­go­gisch an­set­zen muss – und zwar erst ein­mal grund­sätz­lich bei der Ar­beits­wei­se. Jun­gen hät­ten oft we­ni­ger Ge­duld als Mäd­chen, seien un­kon­zen­triert und woll­ten ih­re Auf­ga­ben schnell er­le­di­gen. Des­halb sei zu­nächst ein klar struk­tu­rier­ter Ar­beits­ab­lauf wich­tig, der sich je­den Tag wie­der­ho­le und von Ri­tua­len be­glei­tet sei. „Das gibt den Jun­gen Si­cher­heit und Selbst­ver­trau­en“, freut sich Kers­tin Sel­ter.

Zu den lieb ge­won­ne­nen Ri­tua­len ge­hört eben auch die Mu­sik aus dem CD-Play­er. So­lan­ge die sanft klin­gen­de Ge­räusch­ku­lis­se ver­nehm­bar ist, wis­sen die Jun­gen, dass sie an ih­ren Auf­ga­ben ar­bei­ten müs­sen. Das klappt er­staun­lich gut. Es ist mu­cksmäu­schens­till in der Klas­se. Kein Jun­ge ist ab­ge­lenkt. Wenn Kers­tin Sel­ter dann die Mu­sik aus­schal­tet, wis­sen die Schü­ler, dass ei­ne neue Auf­ga­be folgt. Wor­te sind da nicht not­wen­dig.

Und so neh­men die Un­ter­richtss­tun­den mit Le­seü­bun­gen, dem Ler­nen von Satz­glie­dern und Schleich­dik­ta­ten ih­ren Lauf. Zu­dem gibt es ei­ne Lernt­he­ke, an der sich die Jun­gen be­die­nen kön­nen, wenn sie ih­re Auf­ga­ben er­le­digt ha­ben. Hier gibt es bei­spiels­wei­se Pur­zel­wör­ter wie „roFrsch“. Mit Ver­gnü­gen sor­gen die Jun­gen für Ord­nung im Buch­sta­ben­sa­lat.

Die meis­ten die­ser Schü­ler ha­ben das er­ste Mal in ih­rer Schul­lauf­bahn ech­te Er­folgs­er­leb­nis­se. In der Grund­schul­zeit konn­ten sie im Un­ter­richt oft nicht mit­hal­ten. Das führ­te zu Mut­lo­sig­keit, zu ei­ner Egal­hal­tung und bis­wei­len auch zu Ag­gres­si­vi­tät. In der För­derk­las­se ist das nun an­ders. Stellt Kers­tin Sel­ter ei­ne Fra­ge, ge­hen fast al­le Fin­ger nach oben.

Nun lie­ße sich ein­wen­den, dass die Bil­dung die­ser För­derk­las­se nicht den Zie­len der In­klu­si­on ent­spricht. „Doch“, sagt die IGS. Zum ei­nen näh­men die Jun­gen ja in vie­len Fä­chern am Un­ter­richt im gro­ßen Klas­sen­ver­band teil. Zum an­de­ren sei das aus­drü­ckli­che Ziel der För­derk­las­se nicht das Aus­gren­zen, son­dern das Ein­glie­dern in die Stamm­klas­se. Da­zu be­dür­fe es der in­di­vi­du­el­len För­de­rung in Klein­grup­pen.

Wie Schul­lei­ter Jür­gen San­der er­gänzt, sieht das üb­ri­gens auch der nie­der­säch­si­sche Kul­tus­mi­nis­ter Hen­drik Ton­ne so. In ei­nem Vor­wort an Schu­len er­klär­te er jüngst zum The­ma In­klu­si­on, dass Schul­trä­ger al­ter­na­tiv auch Lerng­rup­pen für Schü­ler mit Be­darf an son­der­pä­da­go­gi­scher Un­ter­stüt­zung ein­rich­ten könn­ten. Die IGS muss das nicht mehr ma­chen. Sie hat be­reits ei­ne Lerng­rup­pe.

Kommentar

von Jürgen Ackmann (Bersenbrücker Kreisblatt)

Gute Idee

Die IGS Fürs­te­nau plant be­reits seit län­ge­rer Zeit ei­nen pä­da­go­gi­schen Tag zum „Um­gang mit her­aus­for­dern­den Ju­gend­li­chen“. Dass die Schu­le mit die­ser vor­beu­gen­den Ini­tia­ti­ve rich­tig­liegt, zei­gen auch Fach­stu­di­en, die be­le­gen, dass es über al­le Schul­for­men hin­weg bei Schü­lern im­mer wie­der zu Gren­zü­ber­schrei­tun­gen kommt – bis hin zur Ge­walt.

Das The­ma ist nicht mehr weg­zu­dis­ku­tie­ren – auch wenn sich vie­le Schu­len aus Ima­ge­grün­den zu­min­dest öf­fent­lich in Schwei­gen hül­len.

Um­so lö­bli­cher ist es, dass sich die IGS des The­mas an­nimmt, sich nicht weg­duckt, son­dern Kon­zep­te er­ar­bei­tet, wie sie Gren­zü­ber­schrei­tun­gen – gleich wel­cher Art – ge­schlos­sen als Schul­ge­mein­schaft mit Re­geln, Kon­ze­quen­zen – al­so mit Hal­tung – be­geg­nen will.